Vier Begegnungen
Wenn man eine Reise tut, sieht man andere Dinge, Städte, Bauten, Regionen, Menschen. Diese Augenblicke blieben mir im Kurzzeit-Gedächtnis. Da sie von dort verschwinden werden – und, damit sie dennoch erhalten bleiben -, schreibe ich sie hier nieder.
Kehl am Rhein
Wir wollen von Deutschland aus mit der Straßenbahn nach Frankreich fahren, genauer: Die Tram von Kehl am Rhein bringt uns nach Straßbourg und zurück. Eine recht einmalige Sache, wo gibt’s das schon, mal eben fix mit der Tram über Landesgrenzen hinweg pendeln? Auf dem Weg zum Bahnhof mit im Gepäck: Pfandflaschen im Wert von 1,25€. Die wollen wir loswerden, weil
- a) morgen Sonntag ist und die Geschäfte in Deutschland geschlossen bleiben und
- b) wir nach Frankreich fahren, wo es kein Flaschenpfand gibt und
- c) wir keinerlei Lust verspüren, knapp 14 Tage lang Plastikmüll im Fahrzeug von A nach B und über C wieder zurück nach A zu räumen
In der Fußgängerzone zu Kehl plaudern wir suchend vor uns hin. Ein Ortsansässiger schnappt Wortfetzen auf.
„Was suchen Sie denn?“
„Einen Supermarkt, ich möchte deutsche Pfandflaschen abgeben, weil wir nach Frankreich fahren.“
„Ah, ja, da gibt es einen [nennt den Namen einer Kette] da vorne, rechts hinter der Kirche.“
„Ui, das ist nett, vielen Dank!“
Und bingo, dort wurde ich die Luft in Plaste los.
Straßbourg
In der Straßenbahn, die uns für wirklich kleines Geld den ganzen Tag *) zu dritt durch die Stadt transportiert, empfiehlt uns ein aufmerksamer Fahrgast, an dieser oder an der nächsten Haltestelle auszusteigen. Das sei beides recht zentral. Französischer Akzent, meiner Einschätzung nach Muttersprachler, der in der Grenzregion lebt und ebenso fließend Deutsch spricht.
Wäre nicht zwingend nötig gewesen, ich interpretiere das als nette Geste. Man hilft anderen.
*) Ich vermute/hoffe, ein ausführlicherer Beitrag folgt, stimmt’s, Scha-atz?
Kehl am Rhein
Abendessen in einem Restaurant mit nahöstlichen Speisen auf dem Plan. Zweibeiner (m), klein und groß, suchen die Toiletten auf. Baulich ist das ganze mittelprächtig gelöst: Steht man am Handwaschbecken und jemand möchte von außen kommend den Vorraum betreten, so knallt er unweigerlich die Tür gegen den Anwender der gepflegten Handhygiene, der gerade am Waschtisch steht.
Vorausschauend parke ich meinen Fuß als Stopper zwischen Tür und Waschbecken. Natürlich verspürt ein weiterer Gast (m) just in diesem Augenblick ein Bedürfnis.
[Die Tür schwingt auf (bis zu meinem Fuß)]
„Oh..?!“ gefolgt von Gemurmel, das ich sprachlich nicht zuordnen kann
„Nichts passiert, etwas eng hier, nur herein!“ [Ich halte die Tür ein wenig auf und trete, so gut es geht, beiseite. Wir sind hier in einer Grenzregion, mutig drauflos:] – „Deutsch, Englisch, Französisch?“
„Äh, Deutsch.“ [fremder Akzent]
„Woher kommen Sie?“ [offen bis neugierig frage ich einfach]
„Ich komme aus Afghanistan.“
„Oha. Sie sprechen aber gut?“
„Ja, das habe ich gelernt, bin schon eine Weile hier.“
„Hm. Und ich spreche gar kein Afghanisch.“
„Das macht doch nichts. Hauptsache, wir verstehen uns.“
Sprach’s, und verschwand aus dem Vorraum in Richtung Herz der Einrichtung.
Camping Jablines bei Paris
7:10 Uhr morgens. Heute fahren wir für drei Nächte in die Metropole und lassen unseres WoBi *) wohlbehütet am Campingplatz (der reichlich Platzreserven hat, Nebensaisson aus frz. Sicht) stehen. Vor der Abfahrt hieß es gestern: Klar Schiff machen, restliche Lebensmittel verräumen, Müll entsorgen.
*) Kein Grammatikfehler, sondern ein feststehender Begriff. Eigenname.
Und… Heute früh: Toiletten-Kassette leeren.
An anderer Stelle äußerte ich meine Beobachtung, der Großteil der Chemie-Toiletten-Reinigungs-Fachkräfte sei männlichen Geschlechts.
Ich – wer sonst ;-)?! – laufe zum Waschhaus, an dessen Ende sich die Entleerungsstation befindet, mit beiden Händen die Kassette tragend. Dort erledige ich mit Schlauch und Spülung, was es zu erledigen gibt. Mit geleerter Kassette trete ich den Rückweg an. Einen Zwischenstopp möchte ich einlegen, Hände waschen.
Am Eingang zum Waschhaus kommt mir ein junger Herr entgegen. Frisch kultiviert ist er, während ich die Klamotten des Vortags an mir habe. Er trägt das Handtuch über der Schulter und einen Waschbeutel in der Hand, während ich ohne Handtuch und Kulturbeutel, dafür mit Kunststoff-Behältnis (jetzt leichter, weil leer) in der Hand daherkomme.
Unsere Blicke begegnen sich. Es ist ein Wimpernschlag, ein kurzer Augenblick, aber er genügt. Nachdem wir einander passiert haben, breitet sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus, das ich weder zurückhalten kann, noch will – da es ohnehin niemand sieht, und selbst wenn… In diesem einen Moment vor der Tür zum Waschhaus sah ich es. Ich spürte es. Ich wusste es: Ich wusste, dass er weiß.
- Er weiß, was ich gerade hinter mich gebracht habe
- Er weiß es, weil er es selbst durchlebt hat, vermutlich mehrfach
- Und ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß, dass er es weiß
Wir tauschen kein Wort, keine Geste, nichts. Und dennoch ist es für mich ein magischer Moment, der uns schweigend verbindet. Beim nächsten Pflicht-Gang werde ich mich, innerlich schmunzelnd, daran erinnern.
Vergnügt reinige ich meine Hände gründlich mit Seife, in den Spiegel grinsend, von wo aus mir ein Typ mit zerzausten Haaren entgegenblickt. Bestens gelaunt gehe ich zum WoBi zurück.
Freizeitcamper und Seltenheitsblogger